Blume des Jahres 2022

Die Vierblättrige Einbeere (Paris quadrifolia). Von Barbara Kehl, FG Botanik.

In den Monaten Mai und Juni, wenn sich die Vegetation in alten Laub- oder feuchten Auwäldern, aber auch in Nadelmischwäldern üppig entfaltet, ist die Einbeere mit etwas Glück zu entdecken. Besonders schön ist sie anzusehen, wenn ihre Stängel zu mehreren dicht beieinanderstehen und die doppelt symmetrischen gleichmäßigen Blätter wie eine dekorative dichte Decke erscheint.

Die Einbeere (Paris quadrifolia) ist eine eher unauffällige Pflanze. Sie zieht die Blicke der Wandernden oder der Spaziergänger nicht durch attraktive Blüten auf sich. Eher fallen ihre nur vier breit-ovalen, netznervigen Blätter pro Stängel auf, die etwa 20 cm über dem Erdboden auf gleicher Höhe, an der Sprossachse befindlich, zu schweben scheinen. Mittendrin steht eine kleine filigrane Blüte. Sie hat leuchtend gelbe Staubblätter mit Pollen, die im Kontrast zu den schmalen zugespitzten grünen Blütenblättern stehen. Die Einbeere wird auch als Fliegentäuschblume bezeichnet. Es wird vermutet, dass der feucht wirkende Fruchtknoten Fliegen und andere Insekten auf raffinierte Weise zur Befruchtung anlockt.

 

Aus diesem Fruchtknoten entwickelt – eine einzige blauschwarze Beere – deren Samen durch Vögel und Ameisen ausgebreitet werden. Unterirdisch besitzt die Einbeere ein kriechendes Rhizom, das mehrere kahle Stängel von bis zu 30 cm Höhe ausbilden kann.

Die Einbeere gehört zur Familie der Germergewächse, von denen es in Deutschland nur noch den Weißen Germer (Veratrum album) gibt, der im Alpenraum gedeiht. 


Medizinisch genutzt wurde die Einbeere schon sehr lange. Es gab die Hoffnung, die Frucht möge als sogenannte „Pestbeere“, in Kleider eingenäht und am Körper getragen, vor der todbringenden Krankheit schützen.  Bereits das „Kräuterbuch“ von Leonart Fuchs aus dem Jahre 1543 beschreibt die Wirkung ihres Giftes. Dort wird sie auch als „Wolfsbeer“ bezeichnet. Die Frucht, in rohes Fleisch gesteckt, ließ Wölfe nach dem Verzehr derselben verenden. Er warnt zugleich: „.../doch ists besser/man gehe so(e)lcher gifftigen kreäuter mu(e)essig (müßig)/…“

 

Die Pflanze in allen Teilen, besonders aber Beere und Rhizom, sind giftig für Menschen, aber auch für Insekten, Spinnen, Fische und Hunde. Menschen kann bei Verzehr im schlimmsten Fall Tod durch Atemlähmung drohen. Die für die Giftigkeit verantwortlichen Inhaltsstoffe sind Glykoside und Saponine. 

 

In Brandenburg ist Paris quadrifolia selten und steht auf der Roten Liste der Gefäßpflanzen, Warnstufe 3, gefährdet. Der Potsdamer Raum mit den sandigen Böden bietet ihr aktuell kaum Wuchsbedingungen; es fehlen hier die feuchten, humus- und nährstoffreichen alten Wälder oder sie sind nur in kleinen Teilflächen vorhanden. Altangaben aus dem 19. Jh. gibt es aus dem Park Sanssouci und dem Haveluferbereich zwischen Potsdam und Caputh. Diese Wälder benötigen besondere Aufmerksamkeit. Grundwasserabsenkungen, Niederschlagsdefizite, Stickstoff-Überfrachtung und nicht zuletzt ein hoher Freizeittourismus setzen auch diese Lebensräume unter Stress. Das gab der „Loki Schmidt Stiftung“ den Anlass, die Einbeere als typische Pflanze der feuchten Laub- und Auwälder zur „Blume des Jahres 2022“ zu küren. 

Fotonachweis: Paris quadrifolia/ NABU B. Kehl und NABU V. Kummer.